Transformation³ ... ökologisch.digital.sozial

Auf dem Landesparteitag am 14. und 15. Juni 2019 in Neuss haben die GRÜNEN in Nordrhein-Westfalen mit dem Leitantrag „Zukunft gestalten – Digitale Transformation als Chance für NRW in einer globalisierten Welt“ aufgezeigt, wie eine gleichzeitige digitale, ökologische und soziale Transformation von NRW gelingen kann. Als einer der Hauptautoren und auf Bundesebene der GRÜNEN als Sprecher der BAG Digitales & Medien programmatisch Verantwortlicher möchte ich diesen Antrag hier kurz vorstellen und so auch in die bundesweite Debatte um Strukturwandel einbringen.

Beginnend mit der Feststellung, mit dem gleichzeitigen Endes des analogen und des fossilen Zeitalters zu Beginn einer neuen Epoche der Menschheit zu stehen, geht es in diesem Antrag mit vielen Unterpunkten um Themen wie ...

  • Innovation und Verantwortung
  • die Zukunft der Arbeit und Abbau von Ungleichheit
  • Qualifizierung und Weiterbildung
  • automatisierte Informations- und Entscheidungssystemen die Mensch und Umwelt dienen
  • Digitalisierung als Werkzeug, Nachhaltigkeitsgesellschaft als Ziel
  • Grundlage für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen schaffen
  • Nachhaltige, klimaschützende Produktionsweise und Mobilität
  • Selbstbestimmung, Freiheit und gleichwertige Lebensverhältnisse
  • Digitalisierung – die Chance für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land
  • Potentiale der Digitalisierung für die Stärkung von Patient*innen und Pflegebedürftigen
  • Bürgerorientierte Digitalisierung
  • Soziale Medien, digitale Öffentlichkeiten und Gleichberechtigung
  • Zukunftslust und Zukunftsmüdigkeit

Und das zeigt bereits das Spektrum und die Komplexität, in der wir gesellschaftliche Transformation im Zusammenwirken der Megatrends Globalisierung, Digitalisierung, Klimakrise und soziale Umbrüche sehen und gestalten müssen. Wie es zu diesen Punkten und Sichtweisen kam und worum es mir und dem Gremium, das diese erarbeitet hat, dabei ging, hier kurz erläutert

 

Vom "Soundingboard Digitalisierung" zum Transformations-Leitantrag

Der Antrag war Folge eines einjährigen Beratungsprozesses im dafür eingerichteten „Sounding Board“ mit externen Sachverständigen und GRÜNEN Experten. Dazu wurden zu den einzelnen Themensitzungen jeweils noch Referenten und Gesprächspartner aus Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft hinzugezogen. Zu den ständigen Mitgliedern gehörten bei den Sachverständigen Prof. Uwe Schneidewind (Wuppertal Institut)Prof. Ira Diethelm (Universität Oldenburg)Dr. Klaus Burmeister (foresightlab)Dr. Anke Knopp (Offene Kommunen NRW)Dr. Kathy MessmerJörg Heynkes. Als GRÜNE Experten waren für die NRW Landtagsfraktion Matthi Bolte-Richter und für die Bundesebene ich selbst dabei.

Folgende Überlegungen im Sounding Board bildeten dabei den Hintergrund für die Feststellungen und Ausführungen im Antrag (Text meiner Rede auf dem Landesparteitag zur Einbringung des Antrags):

In den kommenden Dekaden werden die großen Fragen der Moderne neu gestellt: Wie erreichen wir Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit und Vernunft in einer digitalen, globalisierten und ökologisch höchst fragilen Welt? In einer Welt, in der die großen Zielkonflikte und Fragen unseres Zusammenlebens nicht mehr mit den Rezepten des letzten Jahrhunderts gelöst werden können?

Treiber des Wandels ist die Digitalisierung. Und so sehr wie wir ökologische & soziale Konzepte für eine GRÜNE Zukunft entwickelt haben, so wenig haben wir bisher die Digitalisierung als Zukunfts-Treiber und als Chance für NRW politisch durchdacht. Dieser blinde Fleck grüner Programmatik war der Grund, warum wir uns als Landesverband aufgemacht haben, hier nach Konzepten und Antworten zu suchen und das Sounding Board zu installieren um, so auch über den Tellerrand unserer Komfortzone zu schauen.

Technologie ist aus GRÜNER Sicht dabei nie Selbstzweck, sondern immer nur Werkzeug, um Zukunft zu gestalten. Es kommt also für uns immer darauf an, für welche Ziele und mit welchen Folgen man neue Technologien wie KI, IoT oder Blockchain einsetzt. Unser übergeordnetes Ziel im vorliegenden Antrag ist dabei eine Nachhaltigkeitsgesellschaft im Sinne der SDGs der UN; also eine Welt, in der sozialer Ausgleich und ökologische Verantwortung unser Handeln leiten. Und der Antrag macht klar: Wir wollen nicht „Bedenken second“ die Technologien und den Markt einfach mal machen lassen, sondern Technologien und Märkte mittels Anreizen und Regulierung in den Dienst des Gemeinwohls & der Nachhaltigkeit stellen. Denn wir wissen: Wenn wir nicht aktiv gestalten, dann werden wir gestaltet, von der Digitalisierung wie vom Klimawandel und vom Artensterben.

Der Antrag sieht hier vor allem eine enorme Chance: Wenn durch die Digitalisierung und die ökologischen Bedrohungslagen sowieso alles in Frage gestellt und neu geregelt wird, dann ist dies auch die Chance, alte und neue Probleme neu und gemeinsam anzugehen. Und wir fangen dabei natürlich auch nicht bei null an: Durch die industrielle Revolution im letzten Jahrhundert wissen wir, wie Technologie getriebene gesellschaftliche Umbrüche ablaufen. Wir wissen, wie dabei neue Zielkonflikte ausbrechen … und vor allem, wie sehr es darauf ankommt, nicht wieder ökologische und soziale Kosten des Umbruchs zu vergemeinschaften, Gewinne aber zu privatisieren. 

Die große Chance liegt heute darin, dass wir als Gesellschaft noch nie so mächtige Werkzeuge an der Hand hatten, um gesellschaftliche Fortschritte zu erreichen:

  • Robotik und Automatisierung führen zu einer Wertschöpfung und materiellen Reproduktion, die uns von Routinearbeiten befreit und uns frei macht für Tätigkeiten, in denen es darauf ankommt, Mensch zu sein und Mensch und Gesellschaft in den Vordergrund zu stellen.  
  • Allgegenwärtige Sensoren, die Verdatung der Welt und die automatisierte Datenverarbeitung ermöglichen uns ein Weltwissen, das in dieser Tiefe und Komplexität schlicht unvorstellbar war … und das unser Eingreifen in die Welt viel rationaler machen kann, als Menschen es allein je erreichen könnten.
  • Durch das Internet wird die Welt zum Dorf und das Dorf wird zur Welt. Die Digitalisierung ermöglicht uns eine Teilhabe am wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Leben, eine Befreiung von kulturellen und traditionellen Schranken und Gatekeepern, wie sie nie in der Menschheitsgeschichte erreicht worden ist.

Aber Utopie und Dystopie liegen nahe beieinander: Die Digitalisierung beschränkt uns auch, sie setzt neue Standards, denen wir uns kaum entziehen können. Und so sehr, wie unser ganzes Leben verdatet wird, so sehr verlieren wir zunehmend auch die Kontrolle über unsere Daten und somit über unser digitales Leben. Entsprechend wichtig ist es, unsere informationelle Selbstbestimmung und digitale Souveränität aufrecht zu erhalten. Denn wer über unsere Daten verfügt, kann über uns verfügen. Ob Staat oder Unternehmen: Wir werden anhand unserer Daten eingeordnet, ausgewertet und bewertet, wir werden zum Objekt von anonymen und zunehmen automatisierten Datenverarbeitungsprozessen und sind so immer weniger selbstbestimmtes Subjekt.

Mit dem Antrag auf Basis der Debatten im Sounding Board haben die Grünen in NRW festgehalten, welches Konzept sie für diese „Transformation hoch drei“ und die Zukunft von NRW haben. Ziel war es, nicht nur zu problematisieren und zu sagen was nicht geht, sondern eine positive Vision einer grünen Zukunft von NRW an die Wand werfen.

Credo im Sounding Board war Jörg Heynkes Claim: “Wir retten die Welt digital … oder gar nicht“. Denn die Komplexität und Interdependenz der globalisierten und hoch ausdifferenzierten Moderne ist ohne Digitalisierung nicht mehr zu bewältigen. Und Wir sind überzeugt: Zukunft wird aus Mut … und aus 1 und 0 gemacht.

Und so startet der Antrag dann auch entsprechen mit Bezug zur historischen Situation ... als Teaser hier der erste Abschnitt ... und Link zum Weiterlesen:

 

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Zukunft gestalten – Digitale Transformation als Chance für NRW in einer globalisierten Welt

Wir leben in einer Zeit enormer globaler Transformationen und am Beginn einer neuen Epoche der Erdgeschichte, dem Anthropozän. In den kommenden Jahrzehnten wird sich maßgeblich entscheiden, welche Erde und welche Gesellschaft wir den kommenden Generationen hinterlassen.

Das Ende des fossilen und das Ende des analogen Zeitalters ereignen sich fast gleichzeitig. Diese zentralen Veränderungsprozesse führen zu einem nie dagewesenen Druck, die Art wie wir leben, wie wir wirtschaften und arbeiten, konsumieren und kommunizieren, weitreichend zu ändern. Der Anpassungsdruck der ökologischen und der digitalen Transformation zwingt uns zu ebenso großen sozialen Transformationen, zu gesellschaftlichem Wandel, bei dem die großen Fragen nach materiellem Auskommen, politischen Entscheidungen, sozialem Zusammenhalt und gemeinsamen Vorstellungen neu zu beantworten sind. Neue Zielkonflikte, Verteilungs- und Machtkämpfe kennzeichnen solche Umbruchphasen, etwa zu Beginn der Moderne oder des Industriezeitalters. Aus den Umbrüchen gehen jeweils Modernisierungsgewinner und Modernisierungsverlierer hervor. Und obwohl in der Summe und langfristig durch die großen technologiegetriebenen Umbrüche jeweils mehr Wohlstand, mehr Demokratie, mehr soziale Absicherung und mehr Wissen und Vernunft in die Welt gebracht wurde, gingen damit stets auch Phasen und Regionen des Massenelends, exzessiver Umweltzerstörung und von Krieg einher.

Es gibt keinen Automatismus zwischen technologischem und gesellschaftlichem Fortschritt. Utopie und Dystopie liegen stets dicht beieinander und die Geschichte lehrt uns, dass nicht die Selbstregulierung des Marktes und die Eigendynamik neuer Technologien gesellschaftlichen Fortschritt brachten, sondern erst die gesellschaftliche und politische Regulierung und Einhegung dieser Kräfte in politischen und gesellschaftlichen Prozessen.

Wir GRÜNE wollen die Digitalisierung mit Zuversicht gestalten und sie weder den Großkonzernen noch staatlichen Phantasien von umfassender Überwachung überlassen. Es liegt an uns, ob die digitale Gesellschaft zu einer Nachhaltigkeitsgesellschaft wird, freiheitlich-offen, demokratisch-rechtsstaatlich, sozial ausgleichend und ökologisch verantwortlich. Oder ob die neuen Technologien zu Brandbeschleunigern werden, mit denen bereits heute kritische Entwicklungen fatal verstärkt werden. Wir GRÜNE wollen die Chancen ergreifen, die in diesem Wandel liegen. Denn die digital getriebene Transformation der wirtschaftlich-materiellen, politischen, sozialen und sozio-kulturellen Strukturen ist zugleich auch die Chance, diese Neuausrichtung an den ökologischen und sozialen Notwendigkeiten zu orientieren – etwa an den Nachhaltigkeitszielen der UN. Und dazu gilt es, die Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels durch Technologien mit gesellschaftlichen Bedürfnissen zu verbinden. Also aktiv zu gestalten, wo und wie diese für den Menschen und für das Gemeinwohl eingesetzt werden. Wir wollen die Frage „tech what for“ beantworten, anstatt à la „Bedenken second“ alles der Eigendynamik der Innovationen und den Anforderungen der Märkte zu überlassen. Wir wollen die Digitalisierung in Hinblick auf ökologische und soziale Ziele aktiv gestalten, damit nicht wir von der Technologie, dem Klimakollaps und sozialen Konflikten gestaltet werden. Die Digitalisierung bietet die Chance, die Arbeitswelt humaner zugestalten. Wir wollen uns einsetzen für faire Bedingungen auch in neuen Arbeitswelten, angemessene Löhne, eine Stärkung des Tarifvertragssystems sowie Allgemeinverbindlichkeitserklärungen.Neue Beschäftigungsformen wie Crowd- und Klickworking können Chancen für einen offeneren Arbeitsmarkt sein. Wir wollen, dass sie geltenden Arbeits- und Sozialstandards entsprechen.

In NRW sind die Gestaltungsansprüche und damit auch die Gestaltungschancen dabei besonders groß. Als Kernland der Industriegesellschaft des analogen Zeitalters sind wir besonders herausgefordert, die neuen Technologien und die bereits herausgebildeten globalen Geschäftsmodelle und Oligopole, verbunden mit den Namen Amazon, Google, Facebook, Microsoft und Apple, nicht einfach hinzunehmen, sondern durch politische Regulierung und kluge Anreizsetzung gesellschaftsdienlich einzuhegen.

(...) (HIER DER GESAMTE ANTRAG)